Krebs als Arbeitnehmer – alles zu Krankengeld, Kündigungsschutz und Wiedereinstieg
Krebs ist mehr als eine Diagnose – er ist ein Sturm, der Beruf, Finanzen und Privatleben aufwühlt. Von der ersten Krankmeldung über Krankengeld bis hin zu Kündigungsschutz und Wiedereingliederung: Hier bekommen Sie einen konkreten Fahrplan, um Ihre Rechte selbstbewusst einzufordern.
Diagnose Krebs: Mitteilen oder nicht?
Sie sind nur verpflichtet, Ihrem Arbeitgeber die voraussichtliche Dauer Ihrer Arbeitsunfähigkeit zu melden – nicht die Krebsdiagnose selbst. Damit ist Ihre Informationspflicht erfüllt.

Diagnose Krebs: Mitteilen oder nicht?
Trotzdem kann ein ehrliches Gespräch Spielräume schaffen: Homeoffice, Gleitzeit oder Aufgabenwechsel sind leichter zu verhandeln, wenn Vorgesetzte den Kontext kennen. Außerdem schafft Ehrlichkeit Transparenz, die Ihren Arbeitgeber kompromissbereiter stimmen kann. Den Zeitpunkt bestimmen aber allein Sie.
Beispiel: Frau Klein (35, Bürokauffrau) meldet sich für zwölf Wochen krank, ohne Einzelheiten preiszugeben. Als die Chefin flexible Arbeitsmodelle anbietet, entscheidet Tina sich freiwillig, ihre Diagnose zu teilen. Sie erhält abgesicherte Homeoffice-Tage während der Chemotherapie.
Lohnfortzahlung und Krankengeld bei Krebs: so funktioniert es
Eine Krebserkrankung ist rechtlich zunächst nur eine Krankheit. Arbeitsunfähigkeit – und damit der Anspruch auf Entgeltfortzahlung – entsteht erst, wenn
- die Krebserkrankung oder die Behandlung es objektiv verhindert, Ihre konkrete Arbeit auszuüben, oder
- die Ausübung der Arbeit nach ärztlicher Prognose Ihre Heilung wesentlich beeinträchtigen würde (Gefahr der Verschlimmerung).

Lohnfortzahlung und Krankengeld bei Krebs: so funktioniert es
Für die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit (AU) ist ein Arzt zuständig. Die AU des Arztes gilt als Beweis für Ihre Arbeitsunfähigkeit. Der Beweiswert gilt allerdings als erschüttert, wenn der Arzt Sie nicht ordnungsgemäß untersucht oder eine nicht nachvollziehbare AU ausstellt (LAG Niedersachsen, Urt. v. 18.04.2024 – 6 Sa 416/23).
Beispielhafter Ablauf einer Krebstherapie
Phase | Typische Rechtsfolge bei Krebs |
Diagnose ohne Therapie | Viele Betroffene können unmittelbar nach Diagnose weiterarbeiten; AU entsteht dann erst in der Therapie- oder Erholungsphase. Für die Tage der Voruntersuchungen (z.B. MRT, CT) greift regelmäßig § 616 BGB, Sie verlieren also Ihren Lohnanspruch nicht. |
Kurative oder palliative Behandlung (Operation, Chemo, Bestrahlung) | • Während einer stationären OP ist AU eindeutig.
• Chemo-/Strahlentherapie führt wegen typischer Nebenwirkungen regelmäßig zur AU – Ihr Arzt bescheinigt regelmäßig durchgehende Arbeitsunfähigkeit. |
Therapiefreie/Symptomfreie Zeit | Manche Patienten können tage- oder wochenweise arbeiten. Ohne AU-Bescheinigung besteht kein Lohnfortzahlungsanspruch; der normale Vergütungsanspruch lebt wieder auf. |
Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell, § 74 SGB V | Arbeitsunfähigkeit bleibt während der gesamten Aufbauphase bestehen. In dieser Zeit zahlt die Krankenkasse Krankengeld; erst nach erfolgreichem Abschluss stellt die Ärztin bzw. der Arzt die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit fest. |
Die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit zahlt der Arbeitgeber. Die Höhe der Entgeltfortzahlung bemisst sich nach dem durchschnittlich zu erwartenden Lohn. Nach sechs Wochen übernimmt die Krankenkasse und Sie erhalten Krankengeld.
Beispiel: Herr Schicht (50, Schichtleiter) erhält sechs Wochen lang seine übliche Wechselschichtzulage weiter. Nach Ablauf ruft ihn die Personalabteilung an, um mit ihm die nächsten Schritte Richtung Krankengeld zu planen.
Das Krankengeld beträgt 70 % Ihres Bruttos und maximal 90 % Ihres Nettos. Die genaue Berechnung der Höhe kann variieren, da auch Sonderzahlungen ( z.B. Weihnachts- oder Urlaubsgeld) in die Berechnung einfließen. Der Anspruch besteht bis zu 72 Wochen innerhalb einer Dreijahres-Frist.
Achten Sie unbedingt darauf, dass keine sogenannte Krankengeld-Lücke entsteht: Wenn zwischen zwei Krankschreibungen eine Lücke liegt, erhalten Sie für diese Tage entsprechend kein Krankengeld. Fällt genau in diese Lücke eine Änderung Ihres Arbeits- oder Versicherungsstatus, kann Ihr Krankengeldanspruch vollständig erlöschen und lässt sich auch mit einer neuen Bescheinigung nicht wiederbeleben.
Falls Sie während des Krankengeldbezugs gekündigt wurden, finden Sie hier weitere Informationen.
Gilt Krebs als Schwerbehinderung? Was bringt mir die Schwerbehinderung?
Der Grad der Behinderung von Krebserkrankten reicht je nach Stadium von 30 bis hin zu 80. Erreichen die krebsbedingten Einschränkungen einen Grad der Behinderung von mindestens 50, gelten Sie als schwerbehindert.

Gilt Krebs als Schwerbehinderung?
Ab einem Grad der Behinderung von 30 können Sie einen Antrag auf Gleichstellung bei der Agentur für Arbeit stellen. Der Antrag bewirkt, dass Sie auch mit einem niedrigeren Grad der Behinderung rechtlich wie ein Schwerbehinderter zu behandeln sind.
Schwerbehinderte genießen folgende Vorteile:
- Fünf Tage zusätzlicher Urlaub pro Jahr
- Möglicherweise früherer abschlagsfreier Renteneintritt
- Anspruch auf leidensgerechte Beschäftigung
- Besonderer Kündigungsschutz
Nach einer Krebsdiagnose ist es sehr ratsam, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen.
Habe ich ein Recht auf Anpassung meiner Arbeitsbedingungen?
In der Regel ja, dies hängt aber auch von Ihrem konkreten Arbeitsplatz ab. In folgenden Fällen ist jedenfalls davon auszugehen:
- Ihr aktueller Arbeitsplatz ist medizinisch nachweisbar nicht mehr zumutbar, oder
- Es gibt einen freien, gesundheitlich passenden Arbeitsplatz, oder
- Ihr bisheriger Platz lässt sich mit zumutbarem Aufwand anpassen.

Habe ich ein Recht auf Anpassung meiner Arbeitsbedingungen?
Diese Fragen werden idealerweise im BEM-Gespräch Gespräch (Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement) oder in einer offenen Besprechung mit dem Arbeitgeber geklärt.
Anpassung des Arbeitsplatzes bei Krebs
Es gelten folgende Maßstäbe im Hinblick auf die Anpassung Ihres Arbeitsplatzes:
Rechtlicher Status | Maßstab |
Schwerbehinderte | Der Arbeitgeber muss Arbeitsplatz, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen so gestalten, dass Sie Ihre Tätigkeit trotz Beeinträchtigung ausüben können. Nötige Hilfsmittel sind Ihnen bereitzustellen, sofern zumutbar. |
Sonstige gesundheitlich Beeinträchtigte | Auch ohne Schwerbehindertenstatus folgt ein Anspruch aus der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB). Das BAG verlangt, dass der Arbeitgeber sein Direktionsrecht nutzt, wenn eine leidensgerechte Versetzung möglich und wirtschaftlich vertretbar ist (BAG, Urt. v. 19. 5. 2010 – 5 AZR 162/09). |
Beispiel: Die Lageristin Frau Heber darf nach einer Brustkrebserkrankung keine schweren Pakete mehr heben. Sie erhält eine Hebehilfe.
Wichtig: Der Arbeitgeber muss keinen anderen Beschäftigten „verdrängen“ oder in einen Rechtsstreit mit Dritten gehen; eine Rotation kommt nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht.
Belegen Sie Ihr Leiden mit ärztlichen Attesten und machen Sie im BEM-Termin konkrete Änderungsvorschläge. Verweigert der Arbeitgeber die Anpassung trotz klarer Möglichkeit, können Sie Schadensersatz wegen Annahmeverzugs verlangen – das umfasst den Lohn, der Ihnen durch die Nichtbeschäftigung entgangen ist.
Das BEM ist zwar grundsätzlich kündigungsneutral. Scheitert das BEM, kann dies aber trotzdem mittelbar relevant für eine Kündigung sein!
Wiedereingliederung bei Krebs: Das Hamburger Modell nach § 74 SGB V
Ein anderes bewährtes Instrument zur Anpassung Ihrer Arbeitsbedingungen ist die stufenweise Wiedereingliederung nach § 74 SGB V („Hamburger Modell“): Während Sie weiterhin offiziell arbeitsunfähig sind und Krankengeld, Übergangs- oder Verletztengeld beziehen, arbeiten Sie nach einem ärztlich ausgearbeiteten Stufenplan zunächst mit deutlich reduzierten Stunden und Aufgaben.
Der Plan tritt nur in Kraft, wenn Sie, Ihr Arzt und Ihr Arbeitgeber zustimmen; Beginn, Ende und Umfang können jederzeit Ihrer Tagesform angepasst werden. Unterbrechungen bis zu sieben Kalendertagen lassen den Anspruch auf Entgeltersatzleistungen unberührt; freiwillige Lohnzuschüsse des Arbeitgebers sind möglich, werden aber auf das Krankengeld angerechnet.
Der Stufenplan wird beim zuständigen Reha-Träger hinterlegt und schafft klare Regeln, wann Sie die nächste Stufe erreichen oder, bei gesundheitlichen Rückschlägen, das Tempo drosseln dürfen. Sie testen in geschütztem Rahmen Ihre Belastbarkeit, bleiben betrieblich und fachlich integriert und sichern gleichzeitig Ihren Arbeitsplatz sowie den vollen Kündigungsschutz.
So verbinden Sie Rehabilitation und Beruf nahtlos, ohne Ihren Anspruch auf Kranken- oder Übergangsgeld zu verlieren – ideal, um den Arbeitsplatz trotz Krebs langfristig zu erhalten.
Welcher Kündigungsschutz gilt bei Krebs?
Die Diagnose Krebs bedeutet nicht automatisch, dass Ihr Arbeitsplatz verloren ist. Wenn Ihr Arbeitgeber Ihnen aufgrund Ihrer Erkrankung kündigen will, bestehen hohe Anforderungen. Hier greift der strenge krankheitsbedingte Kündigungsschutz des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Drei zentrale Hürden muss der Arbeitgeber überwinden:
-
Negative Gesundheitsprognose
Der Arbeitgeber muss darlegen, dass in den kommenden Jahren mit weiteren längeren Ausfallzeiten oder einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit zu rechnen ist. Bei Krebserkrankungen ist das keineswegs selbstverständlich. Chemo- oder Strahlentherapien verursachen oft monatelange Fehlzeiten, doch viele Betroffene sind nach erfolgreicher Behandlung vollständig belastbar.

Welcher Kündigungsschutz gilt bei Krebs?
Stützt sich der Arbeitgeber allein auf vergangene Fehlzeiten, kann der Arbeitnehmer durch aktuelle ärztliche Bescheinigungen oder Reha-Berichte eine günstigere Prognose nachweisen. Erst wenn medizinische Gutachten belegen, dass Rückfälle wahrscheinlich sind oder die Leistungsfähigkeit dauerhaft eingeschränkt bleibt, kann die erste Hürde erfüllt sein.
-
Kein milderes Mittel – betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Hat der Mitarbeiter innerhalb der letzten zwölf Monate mehr als sechs Wochen gefehlt, sollte der Arbeitgeber ein BEM anbieten. Ziel ist, Möglichkeiten wie stufenweise Wiedereingliederung, Homeoffice, angepasste Schicht- oder Teilzeitmodelle oder eine Versetzung auf eine leidensgerechte Stelle auszuloten. Gerade nach Krebsbehandlungen lassen sich Arbeitsplätze häufig temporär an Erschöpfung oder Nachsorge-Termine anpassen.
Unterlässt der Arbeitgeber das BEM oder prüft er keine Umsetzungshilfen, ist eine Kündigung regelmäßig angreifbar.
-
Interessenabwägung
Selbst bei negativer Prognose und misslingender Wiedereingliederung muss eine Abwägung zugunsten des Arbeitgebers überwiegen. Faktoren wie lange Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten und die erschwerten Chancen von Krebspatienten auf dem Arbeitsmarkt sprechen häufig für den Beschäftigten.
Hinzu kommt: Wie beschrieben erhalten Krebsbetroffene regelmäßig den Status schwerbehindert oder sind ihm gleichgestellt. Dann muss der Arbeitgeber vor jeder Kündigung die Zustimmung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung einholen – eine weitere gewichtige Schutzschranke.
Probezeit und Kleinbetriebe
In Betrieben mit maximal zehn Arbeitnehmern oder während der Probezeit gilt das KSchG nicht. Dennoch darf der Arbeitgeber nicht willkürlich kündigen. Eine Entlassung einzig wegen der Krebsdiagnose kann als treuwidrig oder diskriminierend angegriffen werden, insbesondere wenn der Schwerbehindertenstatus bereits beantragt ist.
Finanzielle Absicherung
Während der ersten sechs Krankheitswochen besteht Entgeltfortzahlung, danach zahlt die Krankenkasse Krankengeld. Auch nach Zugang einer Kündigung bleibt dieser Anspruch bestehen.
Kündigung aus anderem Grund als der Krebsdiagnose
Wenn es sich nicht um eine verhaltensbedingte, sondern um eine betriebsbedingte Kündigung handelt, muss der Arbeitgeber eine Sozialauswahl treffen. In aller Regel sind Sie als Krebserkrankter schutzwürdiger als andere vergleichbare Arbeitnehmer – und somit auch vor einer Kündigung geschützt.
Handlungsempfehlung
Betroffene sollten bei Erhalt einer Kündigung umgehend – spätestens binnen drei Wochen – Kündigungsschutzklage erheben. Ein Fachanwalt kann prüfen, ob Prognose, BEM-Verfahren und Interessenabwägung ordnungsgemäß waren und so die Weiterbeschäftigung sichern oder, falls gewünscht, eine angemessene Lösung oder eine Abfindung verhandeln.
Fazit
Eine Krebsdiagnose ändert das Leben, aber Ihr Rechtsschutz ist stärker als oft angenommen. Nutzen Sie Lohnfortzahlung, Krankengeld und Übergangsgeld, sichern Sie sich Schwerbehindertenstatus, Teilzeit oder Homeoffice und bestehen Sie auf BEM und Wiedereingliederungsplan. Gesetz und Gemeinwesen geben Ihnen Werkzeuge – jetzt heißt es, sie klug einzusetzen.
Unsere Kanzlei hilft Ihnen bestens dabei, Ihre Fragen zu beantworten und Sie auf Ihrem Weg rechtlich zu unterstützen.
Was unsere Mandanten über Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Drees sagen




