Massenentlassung während Kurzarbeit – Das müssen Sie wissen

,

Viele Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit, um so Kündigungen zu vermeiden. Da die Kurzarbeit aber kein Allheilmittel ist, folgt auf sie nicht selten eine große Entlassungswelle im betroffenen Unternehmen.

In diesem Beitrag erläutern wir Ihnen das Wichtigste, was Sie zur Massenentlassung während der Kurzarbeit wissen sollten.

 

  • Inhaltsverzeichnis

Sind Massenentlassungen während Kurzarbeit möglich?

Die schlechte Nachricht zuerst: Ein Arbeitgeber darf seinen Arbeitnehmern grundsätzlich auch während der Kurzarbeit kündigen. Allerdings gilt auch während der Kurzarbeit der allgemeine Kündigungsschutz des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Ist der Arbeitnehmer länger als sechs Monate im Betrieb beschäftigt und arbeiten dort mehr als 10 Arbeitnehmer, muss für eine rechtmäßige Kündigung daher ein Kündigungsgrund vorliegen (§ 1 KSchG).

Der Arbeitgeber kann beispielsweise geltend machen, dass er im Unternehmen dauerhaft weniger Arbeit zu vergeben hat und den Arbeitnehmer daher nicht mehr beschäftigen kann („betriebsbedingte Kündigung“).

Während der Kurzarbeit ist eine so begründete Kündigung aber erschwert. Denn wer als Arbeitgeber Kurzarbeitergeld beantragt, zeigt, dass die Arbeit seiner Einschätzung nach nur vorübergehend wegfallen wird. Kündigungen dürfen hingegen nur erfolgen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dauerhaft nicht mehr gebrauchen kann. Eine betriebsbedingte Kündigung ist daher während der Kurzarbeit grundsätzlich nur dann möglich, wenn sich die betriebliche Lage nach der Beantragung des Kurzarbeitergelds weiter verschlechtert.

Beispiel:
Arbeitgeber A hat aufgrund der Corona-Pandemie Kurzarbeit beantragt. Nach seiner Einschätzung wird er seine Arbeitnehmer später im Jahr wieder voll beschäftigen können. Nun wird aber der größte Kunde des A unerwartet insolvent. Hat A nun aufgrund ausbleibender Aufträge dauerhaft weniger Arbeit zu vergeben, sind betriebsbedingte Kündigungen auch während der Kurzarbeit möglich.

Der Arbeitgeber hat hierbei vor Gericht zu beweisen, dass die Voraussetzungen der Kündigung vorliegen. Das fällt ihm oft schwer.

Außerdem muss der Arbeitgeber bei einer betriebsbedingten Kündigung eine korrekte Sozialauswahl durchführen. Dadurch sollen sozial schwache Arbeitnehmer geschützt werden. Folgende Kriterien muss der Arbeitgeber beachten:

  • Alter
  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Unterhaltsverpflichtung
  • Schwerbehinderung

So darf z.B. älteren Arbeitnehmer bei gleicher Eignung nicht vor jüngeren Arbeitnehmern gekündigt werden und einem Familienvater nicht vor einem Single. Diese Darstellung ist natürlich stark vereinfacht. Im Einzelfall ist die Auswahl deutlich komplizierter (und deshalb fehleranfällig).

Herr Dr. Drees berät Sie.
Jeder Fall ist einzigartig. Herr Dr. Drees beantwortet Ihre Fragen. Er bespricht mit Ihnen, wie Sie am besten vorgehen. Mit dem Rat eines Fachanwalts für Arbeitsrecht gehen Sie sicher.

Wir melden uns kurzfristig bei Ihnen zurück. Ihre drängendsten rechtlichen Fragen lassen sich meist schon im Anschluss klären.

 

Beteiligung des Betriebsrates

Sofern im Unternehmen ein Betriebsrat besteht, ist dieser grundsätzlich bei jeder Kündigung zu beteiligen (vgl. § 102 BetrVG). Dafür braucht es keine Massenentlassung. Oftmals wird daher versucht, die Beendigung durch einen Aufhebungsvertrag zu erreichen.

Bei einer Massenentlassung hat der Betriebsrat aber noch weitergehende Möglichkeiten. Damit die Beteiligung des Betriebsrats gesichert ist, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat zunächst nach § 111 BetrVG von geplanten Betriebsänderungen in Kenntnis setzen.
Zu diesen „Änderungen“ gehören auch Massenentlassungen (vgl. § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG).
Voraussetzung für die Beteiligung bei der Massenentlassung ist aber,

  • dass im Unternehmen mehr als 20 Arbeitnehmer arbeiten
  • und ein erheblicher Teil der Belegschaft betroffen ist.

Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kommen für den Betriebsrat nach § 112 BetrVG grundsätzlich die Mittel des Sozialplans und des Interessenausgleiches in Betracht.

 

Abschluss eines Sozialplans

Ein Sozialplan wird zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat ausgehandelt. Er soll die harten Folgen der Kündigungen für die Arbeitnehmer zumindest etwas abmildern. Im Sozialplan werden beispielsweise Abfindungen für die Mitarbeiter geregelt oder festgelegt, dass Mitarbeiter auf Kosten des Arbeitgebers in einer Transfergesellschaft weitergebildet werden.

Arbeitnehmer können sich trotz eines bestehenden Sozialplanes weiterhin gegen die Kündigung wehren. Ein Sozialplan schließt die Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage nicht aus! Der Arbeitnehmer kann auch versuchen, selbst mit dem Arbeitgeber zu verhandeln und so bessere Konditionen zu vereinbaren. Zum Beispiel kann die Höhe einer im Sozialplan festgelegten Abfindung zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber noch einmal individuell „hochgehandelt“ werden.

Ein Sozialplan ist für den Arbeitgeber grundsätzlich Pflicht (wenn ein Betriebsrat besteht). Notfalls entscheidet die unabhängige Einigungsstelle. Besteht die Betriebsänderung allerdings allein in Form von Entlassungen, müssen die Schwellwerte in § 112a BetrVG überschritten sein, damit die Einigungsstelle zum Zuge kommt. Andernfalls kann der Abschluss nicht erzwungen werden.

 

Verhandeln eines Interessenausgleiches

Auch der Interessenausgleich wird zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat verhandelt. Im Unterschied zum Sozialplan, der die harten Folgen einer Kündigung für die Arbeitnehmer abfedern soll, betrifft der Interessenausgleich die Massenentlassung selbst und nicht bloß deren Folgen. Im Interessenausgleich wird u.a. verhandelt, wie viele Mitarbeiter entlassen werden oder zu welchem Zeitpunkt die Kündigungen erfolgen sollen.

Nicht selten wird im Interessenausgleich auch festgelegt, welche Mitarbeiter genau gehen müssen. Betriebsrat und Arbeitgeber fertigen hierzu eine Namensliste der betroffenen Arbeitnehmer an („Interessenausgleich mit Namensliste“). Wer sich auf einer solchen Liste wiederfindet, hat leider doppelt Pech:

  • Ein betriebsbedingter Kündigungsgrund wird vermutet. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber vor Gericht nicht mehr beweisen muss, dass ein Kündigungsgrund vorlag. Vielmehr muss nun der Arbeitnehmer beweisen, dass es keinen solchen Grund gab.
  • Außerdem ist die Sozialauswahl des Arbeitgebers bei einer Namensliste gerichtlich nur noch auf grobe Fehler hin überprüfbar.

Während ein Sozialplan aber oft vereinbart werden muss, ist das beim Interessenausgleich nicht der Fall. Der Arbeitgeber soll aber zumindest ernsthaft über einen solchen verhandeln. Kommt ein Interessenausgleich jedoch zustande, ist der Arbeitgeber an diesen gebunden.

 

Anzeige der Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit

Der Arbeitgeber hat die geplante Massenentlassung in vielen Fällen bei der Agentur für Arbeit anzuzeigen (§ 17 KSchG). Hierfür werden alle Entlassungen innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tages zusammengerechnet. Ab wie vielen Kündigungen genau die Anzeige erfolgen muss, hängt von der Gesamtanzahl der Arbeitnehmer im Betrieb ab:

 

Gesamtanzahl Arbeitnehmer Kündigungen innerhalb von 30 Tagen
21-59 ab 6
60-499 ab 10 % oder ab 26 Arbeitnehmern
ab 500 ab 30

Diese Massenentlassungsanzeige muss der Arbeitgeber frühzeitig einreichen. Erst einen Monat nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit können die geplanten Kündigungen wirksam werden. Ohne vorherige Anzeige sind sämtliche ausgesprochenen Kündigungen unwirksam.

Wird Kurzarbeitergeld nach der Kündigung gezahlt

Wird Kurzarbeitergeld nach der Kündigung gezahlt?

Wird Kurzarbeitergeld nach der Kündigung gezahlt?

Welches Gehalt im Zeitraum zwischen der Kündigungserklärung und dem tatsächlichen Ende des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird, ist heftig umstritten. Verschiedene Möglichkeiten werden diskutiert:

  • Möglichkeit 1: Es muss nur noch die tatsächlich geleistete Arbeitszeit bezahlt werden. Im Zweifel können das auch null Stunden, also gar kein Gehalt, sein.
  • Möglichkeit 2: Es muss der volle Lohn gezahlt werden, wie er dem Arbeitnehmer vor Einführung der Kurzarbeit zustand.
  • Möglichkeit 3: Es muss der reduzierte Lohnanspruch in Höhe des Kurzarbeitergeldes weitergezahlt werden.

Ein klärendes Urteil steht bisher aus. Die Gerichte müssen erst noch in einem konkreten Fall entscheiden, welche Möglichkeit zutreffend ist. Am naheliegendsten scheint es, zumindest das Gehalt wie zur Zeit der Kurzarbeit auszuzahlen (Möglichkeit 3). Das „Kurzarbeitergeld“ kommt in diesem Fall  vom Arbeitgeber selbst (ohne Erstattung durch das Arbeitsamt).

 

Fazit

  • Auch bei Massenentlassungen während der Kurzarbeit greift der allgemeine Kündigungsschutz. Kündigungen setzten grundsätzlich einen Kündigungsgrund und eine korrekte Sozialauswahl voraus.
  • Bei Massenentlassungen ist regelmäßig der Betriebsrat zu beteiligen. Er stellt gemeinsam mit dem Arbeitgeber einen Sozialplan auf und erarbeitet oft auch einen Interessenausgleich.
  • Eine Massenkündigung muss meist bei der Agentur für Arbeit angezeigt werden. Andernfalls sind die Entlassungen unwirksam.
  • Die Frage, in welcher Höhe das Gehalt zwischen der Kündigungserklärung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses gezahlt werden muss, ist noch umstritten.