Interessenausgleich mit Namensliste – Chancen gegen die Kündigung?
Kündigt ein Arbeitgeber viele Arbeitsverträge gleichzeitig, kommt es oft zu einem Interessenausgleich mit Namensliste. Dieser Beitrag erklärt, welche Folgen dies für entlassene Arbeitnehmer hat.
Was ist ein Interessenausgleich mit Namensliste?
Zu einem Interessenausgleich mit Namensliste kommt es bei Betriebsänderungen. Darunter versteht man z.B.:
- Eine Betriebsschließung
- Die Einführung neuer Arbeitsverfahren
- Umstrukturierungen der Abteilungen
- Einen größeren Stellenabbau
In Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern muss der Unternehmer sich mit dem Betriebsrat beraten, bevor die Betriebsänderung durchgeführt wird. Dies regelt § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Voraussetzung ist natürlich, dass es überhaupt einen Betriebsrat gibt.
Ziel ist dann unter anderem ein Interessenausgleich. Darin einigen sich Betriebsrat und Arbeitgeber, wie die Betriebsänderung ablaufen soll. So können sie z.B. vereinbaren, welche Abteilungen geschlossen werden und wie schnell die Betriebsänderung voranschreiten soll. Außerdem können die Parteien bestimmte Mitarbeiter zur Entlassung bestimmen. Diesen Arbeitnehmern kann dann einfacher gekündigt werden.
Der Abschluss eines Interessenausgleiches ist allerdings freiwillig, verpflichtend ist nur die Beratung. Eine Betriebsänderung ist erst ab einer gewissen Schwelle anzunehmen. Kleine Veränderungen bzw. solche, die nur wenige Mitarbeiter betreffen, sind daher keine Betriebsänderungen. In diesen Fällen müssen Arbeitgeber und Betriebsrat sich daher nicht über einen Interessenausgleich beraten.
Im verlinkten Beitrag erfahren Sie mehr zur Mitbestimmung des Betriebsrats bei Betriebsschließungen.
Welcher Kündigungsschutz gilt bei Interessenausgleich mit Namensliste?
Arbeitnehmer genießen einen recht hohen allgemeinen Kündigungsschutz. Danach muss die betriebsbedingte Kündigung „sozial gerechtfertigt“ sein. Dies verlangt dem Arbeitgeber u.a. folgendes ab:
- Eine betriebsbedingte Kündigung ist nur bei sog. „dringenden betrieblichen Erfordernissen“ zulässig. Der Arbeitgeber hat deshalb zu beweisen, dass dauerhaft Stellen entfallen werden.
- Der Arbeitgeber muss eine sogenannte Sozialauswahl durchführen. Er hat also vorrangig diejenigen zur Entlassung auszuwählen, die nach sozialen Kriterien am wenigsten schutzwürdig erscheinen. Relevant sind das Alter, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderungen.
- Ist eine vergleichbare Stelle im Unternehmen frei, muss der Arbeitgeber diese zunächst anbieten.
Arbeitnehmer können per Klage überprüfen lassen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Steht der Arbeitnehmer hingegen in der Namensliste eines Interessenausgleichs, ist sein Kündigungsschutz eingeschränkt:
- Zunächst werden die zuvor genannten „dringenden betrieblichen Erfordernisse“ vermutet. Der Arbeitgeber muss also nicht mehr aufwändig darlegen, dass er dauerhaft keine Verwendung mehr für den Mitarbeiter hat.
- Außerdem kann die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl nur unter Einschränkungen gerügt werden. Erst grob Fehler können berücksichtigt werden.
Wann kann eine Kündigung trotz Interessenausgleich mit Namensliste angegriffen werden?
Trotzdem kann es sich für Arbeitnehmer lohnen, gegen die Kündigung vorzugehen. Denn auch im Falle eines Interessenausgleichs mit Namensliste kann die Kündigung noch rechtswidrig sein. Dann sollten Arbeitnehmer gegen die Kündigung klagen.
Achtung: Arbeitnehmer haben nur wenig Zeit. Nach Zugang der Kündigung beginnt die Klagefrist von drei Wochen zu laufen. Nach Ablauf dieser Frist ist es nicht mehr möglich, gegen die Entlassung vorzugehen. Der Arbeitsplatz ist dann in aller Regel endgültig verloren. Daher sollten Arbeitnehmer möglichst frühzeitig einen Anwalt aufsuchen.
Insbesondere in diesen Fällen ist eine Kündigung trotz Interessenausgleichs mit Namensliste unzulässig:
Der Betriebsrat wurde nicht richtig angehört
Vor jeder Kündigung ist der Betriebsrat anzuhören. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, ist die Kündigung rechtswidrig. Das gilt auch, wenn der Betroffene auf der Namensliste zur Kündigung bestimmt wurde.
Gerade im Zusammenhang mit einem Interessenausgleich stehen Arbeitgeber und Betriebsrat ohnehin im engen Austausch. Das genügt aber nicht für die Anhörung. Der Betriebsrat muss eindeutig erkennen können, wann noch über den Interessenausgleich verhandelt und wann er zur Kündigung eines einzelnen Arbeitnehmers angehört wird.
Fehler bei der Massenentlassung
Entlässt der Arbeitgeber viele Arbeitnehmer auf einmal, muss er eine sog. Massenentlassungsanzeige erstatten. Diese ist bei der Arbeitsagentur vor der Kündigung einzureichen. In letzter Zeit ist es hier immer wieder zu Fehlern gekommen. Die Kündigung ist dann rechtswidrig. Das gilt selbst im Falle eines Interessenausgleichs mit Namenliste.
Die Umstände haben sich geändert
Die zuvor genannten Wirkungen der Namensliste greifen nicht, wenn sich die Umstände seit dem Interessenausgleich wesentlich geändert haben.
Beispiele:
- Die Betriebsänderung soll im Zuge eines überraschenden Großauftrags nun doch nicht durchgeführt werden.
- Der Insolvenzverwalter hat kurzfristig einen Käufer für das krisengeplagte Unternehmen gefunden, der die Arbeitnehmer übernehmen wird.
Arbeitnehmer können dann Ihre Wiedereinstellung verlangen, sollte die Kündigung bereits ausgesprochen worden sein.
Keine dringenden betrieblichen Erfordernisse
Die oben erklärte Vermutung der dringenden betrieblichen Erfordernisse bewirkt praktisch eine Umkehrung der Beweislast. Während im Normalfall der Arbeitgeber nachweisen müsste, dass tatsächlich dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, muss nun der Arbeitnehmer darlegen, dass dem nicht so ist.
Beispielsweise kann also eine Klage Erfolg haben, wenn dem Arbeitnehmer der Beweis gelingt, dass die Betriebsänderung nicht auf Dauer angelegt ist. Solche Fälle sind allerdings selten.
Sozialauswahl grob fehlerhaft
Wie erwähnt, lässt sich die Sozialauswahl bei einem Interessenausgleich mit Namensliste nur noch angreifen, wenn sie „grob fehlerhaft“ ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist dies der Fall, wenn die Gewichtung der Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung völlig unausgewogen ist.
Folglich genügt der Nachweis kleinerer Ungereimtheiten noch nicht. Die Hürde des Nachweises grober Fehlerhaftigkeit ist entsprechend hoch.
Beispiele für grobe Fehler:
- Es werden nicht nachvollziehbare Altersgruppen gebildet (5er Sprung, dann 12er Sprung, dann 7er Sprung)
- Ein Kriterium wird gar nicht berücksichtigt.
Interessenausgleich und Sozialplan – was ist der Unterschied?
Häufig hört man auch von einem Sozialplan. Dieser wird – wie der Interessenausgleich – zwischen Betriebsrat und Unternehmer ausgehandelt. Jedoch regeln diese beiden „Abkommen“ unterschiedliches.
Während bei dem Interessensausgleich vor allem die Betriebsänderung selbst geregelt wird, geht es bei dem Sozialplan um „den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen“, so § 112 Absatz 1 Satz 2 BetrVG.
Im Fokus stehen also die Folgen der Betriebsänderung. In einem Sozialplan werden oft zum Beispiel Abfindungen vereinbart, die entlassene Arbeitnehmer erhalten sollen. Anders als der Interessenausgleich ist der Abschluss eines Sozialplans häufig verpflichtend.
Wird bei einem Interessenausgleich mit Namensliste eine Abfindung gezahlt?
In aller Regel ja. Liegt ein Interessenausgleich vor, gibt es auch einen Sozialplan. Wie erwähnt, sind darin häufig Abfindungen vereinbart.
Im Falle einer Namensliste ist davon sogar mit großer Wahrscheinlichkeit auszugehen. Denn der Betriebsrat wird der Entlassung einzelner Mitarbeiter meist nur „zustimmen“, wenn diese im Gegenzug eine Abfindung erhalten.
Die Höhe der Abfindung hängt stark vom Einzelfall ab. Als erste grobe Orientierung dient diese Formel:
0,5 Bruttomonatsgehälter x Anzahl der Jahre im Betrieb.
Allerdings kann der Betrag im Einzelfall auch deutlich höher ausfallen. Liegt er darunter, lohnt es sich oft, mit dem Arbeitgeber nachzuverhandeln. Nicht selten ist er dann zu höheren Angeboten bereit. Hier ist aber dringend anwaltlicher Rat zu empfehlen.
Die Abfindung aus dem Sozialplan darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob Arbeitnehmer gegen ihre Entlassung klagen.
Fazit
- Ein Interessenausgleich mit Namensliste ist eine Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber.
- Arbeitnehmer, die im Interessenausgleich genannt werden, können leichter entlassen werden.
- Trotzdem sollte die Kündigung meist von einem Anwalt geprüft werden. Die Entlassung kann nämlich trotz Namensliste noch angreifbar sein.
- Arbeitnehmer haben allerdings nur drei Wochen Zeit, um gegen die Kündigung vorzugehen.
- Der Interessenausgleich behandelt die Betriebsänderung und ihre Modalitäten, während der Sozialplan vor allem der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile der Betriebsänderung dient.
- In aller Regel sieht der Sozialplan eine Abfindung vor.