Massenentlassungsanzeige: Die wichtigsten 6 Fragen

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Will der Arbeitgeber vielen Mitarbeitern auf einmal kündigen, muss er vorher die Bundesagentur für Arbeit informieren. Diese Massenentlassungsanzeige ist häufiger Grund dafür, dass zahlreiche Kündigungen unwirksam sind. Hier erfahren Arbeitgeber und Arbeitnehmer, worauf sie achten sollten.

 

Inhaltsverzeichnis

Wann ist eine Massenentlassungsanzeige erforderlich? 

Die häufigsten Konstellationen, bei denen eine Massenentlassungsanzeige in Frage kommt, sind Betriebs- oder Abteilungsschließungen. Der Arbeitgeber muss dann – vor der Kündigung – eine Anzeige bei der Bundesagentur für Arbeit einreichen. Dadurch soll das Arbeitsamt auf eine größere Zahl Arbeitssuchender vorbereitet werden, um diese dann gezielt unterstützen zu können.

Die Pflicht zur Massenentlassungsanzeige knüpft an eine Mindestzahl von Entlassungen innerhalb von 30 Tagen in einem Betrieb an. Je nach Betriebsgröße gelten dabei unterschiedliche Schwellenwerte:

 

Größe des Betriebs (Mitarbeiterzahl) Anzahl an Entlassungen
21 – 59 Ab 6
60 – 499 10% aller Arbeitnehmer oder ab 26
Ab 500 Ab 30

 

Dabei wird stets der einzelne Betrieb betrachtet. In der Regel ist dies eine bestimmte Niederlassung oder eine Filiale. Der Arbeitgeber kann also mehrere Betriebe haben. Auf sein Unternehmen insgesamt kommt es nicht an.

Als Entlassung sind grundsätzlich alle Formen der Kündigung des Arbeitgebers mitzuzählen, auch Änderungskündigungen und Eigenkündigungen von Arbeitnehmern, wenn der Arbeitgeber diese veranlasst hat (zu Aufhebungsverträgen s.u.). Im Regelfall wird es sich um betriebsbedingte Kündigungen wegen einer Betriebsschließung oder Betriebsteilschließung handeln.

Entlassungen in einem Zeitraum von 30 Tagen werden zusammengerechnet. Dadurch können Kündigungen zu Anfang des Zeitraums auch erst nachträglich anzeigepflichtig werden. Umgekehrt entfällt die Anzeigepflicht aber nicht, wenn Kündigungen später zurückgenommen werden.

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Tipp für Arbeitgeber: Die Pflicht zur Massenentlassungsanzeige lässt sich umgehen, indem sie die Kündigungswelle strecken und jeweils unter den Schwellenwerten bleiben.

Beispiel: In einem Betrieb mit 100 Arbeitnehmern kündigt der Arbeitgeber die Arbeitsverhältnisse von 9 Arbeitnehmern am 31. August und von 9 weiteren Arbeitnehmern am 1. Oktober. Die Kündigungen werden nicht zur Schwelle von 10% zusammengerechnet – sie wurden nicht binnen 30 Kalendertagen erklärt.

Neben der Massenentlassungsanzeige an die Arbeitsagentur muss der Arbeitgeber zusätzlich den Betriebsrat umfassend schriftlich über die Kündigungen informieren. Außerdem muss er mit ihm beraten, ob es Möglichkeiten gibt, die Kündigungen zu vermeiden. Nach dem Bundesarbeitsgericht sind die Kündigungen unwirksam, wenn der Arbeitgeber diese weitere Pflicht neben der Massenentlassungszeige nicht beachtet. Hier bieten sich Angriffschancen für Arbeitnehmer, die Arbeitgeber nicht selten außer Acht lassen.

 

Keine Massenentlassungsanzeige abgegeben: Ist die Kündigung unwirksam?

Die Massenentlassungsanzeige ist nicht bloß eine unwichtige Formalie. Sämtliche Kündigungen sind nämlich unwirksam, wenn der Arbeitgeber keine oder eine nicht ordnungsgemäße Anzeige abgibt.

Eine Ausnahme gilt, wenn der Arbeitgeber bloß eine zu geringe Zahl der geplanten Entlassungen nennt. Dann sollen nur die übersteigenden Kündigungen, die er nicht angezeigt hat, unwirksam sein.

 

Welche Voraussetzungen hat eine wirksame Massenentlassungsanzeige?

Für eine wirksame Massenentlassungsanzeige gelten diverse Voraussetzungen.
Immer wieder unterlaufen Arbeitgebern dabei Fehler. Für Arbeitnehmer lohnt es sich dann, gegen die Kündigung vorzugehen.

Einreichung bei der zuständigen Arbeitsagentur

Der Arbeitgeber muss die Massenentlassungsanzeige beim örtlich zuständigen Arbeitsamt einreichen. Das ist die Behörde, die für den Standort zuständig ist, dem die betroffenen Arbeitnehmer organisatorisch zugeordnet sind.
Im Regelfall ist dies schlicht die Agentur des Bezirks, in dem der Betrieb liegt.
Die örtlich zuständige Stelle zu ermitteln, kann aber mitunter Probleme bereiten. Wird die Anzeige bei einer unzuständigen Agentur eingereicht, sind alle Kündigungen unwirksam.

Beispiel: Dies wurde im Fall der Air Berlin-Insolvenz relevant. Air Berlin hatte unter anderem acht am Düsseldorfer Flughafen stationierten Piloten gekündigt. Die Massenentlassungsanzeige wurde für das bundesweite Cockpit-Personal allerdings nur bei der Bundesagentur Berlin-Nord eingereicht, wo Air Berlin den Hauptsitz hatte.
Das Bundesarbeitsgericht war der Ansicht, dass die Kündigungen gegenüber allen Düsseldorfer Piloten wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam seien. Air Berlin hätte (auch) bei der Arbeitsagentur in Düsseldorf eine Anzeige einreichen müssen.

Ordnungsgemäße Form und richtiger Inhalt

Es reicht nicht, wenn der Arbeitgeber schlicht anzeigt, dass er eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern entlassen wird. Die Anzeige muss bestimmte Anforderungen erfüllen, die in § 17 Abs. 3 KSchG aufgeführt sind.

  • Schriftform: Die Massenentlassungsanzeige muss schriftlich beim Arbeitsamt eingehen.
  • Muss-Inhalt“: Das Gesetz regelt detailliert, welche Informationen die Anzeige mindestens enthalten muss. Hier der Wortlaut:

Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes […], ferner die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer.

  • Unterlagen über die Betriebsratsbeteiligung: Wie oben erwähnt, muss der Arbeitgeber nicht nur die Arbeitsagentur, sondern auch den Betriebsrat über die geplanten Kündigungen informieren. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitsamt seine Mitteilung an den Betriebsrat und dessen Stellungnahme zuleiten.
  • Rechtzeitiger Zugang beim Arbeitsamt: Die Massenentlassungsanzeige muss bei der Arbeitsagentur eingegangen sein, bevor die Kündigungen den Arbeitnehmern zugegangen sind. Der Arbeitgeber darf die Entlassungen also schon vor der Anzeige auf den Weg bringen, sie müssen nur später als die Anzeige beim Arbeitsamt bei den Arbeitnehmern ankommen. Im Zweifel sollte er dies durch Zugangsbestätigungen von Arbeitsamt und Arbeitnehmern nachweisen können.

 

Welche Frist gilt für die Massenentlassungsanzeige?

Die wichtigste Folge der Massenentlassungsanzeige ist die einmonatige Entlassungssperre. Grundsätzlich können die angezeigten Kündigungen nämlich frühestens einen Monat nach Eingang der Anzeige bei der Arbeitsagentur wirksam werden.

Beispiel: Am 31. März geht die Anzeige beim Arbeitsamt ein. Die Monatsfrist beginnt nach am 1. April und endet am 30. April. Mit Ablauf des 30. April können die Entlassungen durchgeführt werden.

Tipp für Arbeitgeber: Die Anzeige sollte möglichst frühzeitig gemacht werden.

Die Arbeitsagentur kann allerdings Ausnahmen zulassen. Es steht in ihrem Ermessen, die Sperrfrist zu kürzen oder zu verlängern:

  • Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Arbeitsamt einerseits zulassen, dass die Kündigungen früher wirksam werden. Etwa, wenn ein Großteil der Arbeitnehmer bereits eine Anschlussstelle gefunden hat.
  • Andererseits kann die Arbeitsagentur die Sperrfrist auch um höchstens einen Monat verlängern. In Betracht kommt die Verlängerung etwa bei der Schließung von großen Betrieben und, wenn die Arbeitnehmer nur schwer eine Anschlussstelle finden.

 

Besonderheiten bei der Massenentlassungsanzeige wegen Corona?

Durch die Corona-Pandemie kommt es zu zahlreichen Insolvenzen und Massenentlassungen. Dabei wurden auch viele Gesetze an die Ausnahmesituation angepasst. Hat sich wegen Corona auch etwas bei der Massenentlassungsanzeige geändert?

Die Antwort lautet: Nein. Hier hat es aktuell noch keine Änderungen gegeben.
Da die Pflicht zur Massenentlassungsanzeige mittlerweile auch auf EU-Recht basiert, könnte der deutsche Gesetzgeber hier auch nicht im Alleingang tätig werden.

 

Ist eine Massenentlassungsanzeige bei Aufhebungsverträgen nötig?

Die Pflicht zur Massenentlassungsanzeige wird bei „Entlassungen“ ausgelöst. Dieser Begriff wird sonst im Gesetz kaum verwendet und lässt Raum für Formen der Beendigung neben der Kündigung. Insbesondere werden auch Fälle erfasst, in denen zwar formal nicht der Arbeitgeber kündigt, er aber die Beendigung „veranlasst“.

Danach zählen auch Aufhebungsverträge zum Schwellenwert für die Massenentlassung, wenn der Arbeitgeber sie veranlasst hat. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber eine konkrete Kündigungsabsicht hat, die er dem Arbeitnehmer deutlich macht. Außerdem muss das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag zu dem Zeitpunkt enden, zu dem es sonst durch die Kündigung beendet worden wäre.

Mit anderen Worten: Beiden Beteiligten ist klar, dass das Arbeitsverhältnis z.B. wegen der Betriebsstillegung „so oder so“ endet. Der Aufhebungsvertrag tritt also nur an die Stelle der Kündigung. Im Fall der Betriebsschließung wird dies in der Regel der Fall sein.

 

Fazit

  • Eine Massenentlassungsanzeige muss der Arbeitgeber an die Arbeitsagentur senden, wenn er innerhalb von 30 Tagen einen großen Teil der Arbeitnehmer in seinem Betrieb entlässt.
  • Die Schwellenwerte richten sich nach der Größe des Betriebs.
  • Bei der Massenentlassungsanzeige können dem Arbeitgeber einige Fehler unterlaufen. Insbesondere muss er das örtlich zuständige Arbeitsamt ermitteln und alle erforderlichen Informationen in die Anzeige aufnehmen.
  • Grundsätzlich kann das Arbeitsverhältnis erst einen Monat nach Eingang der Anzeige bei der Arbeitsagentur enden. Verkürzungen oder Verlängerungen der Sperrfrist sind möglich.
  • Auch Aufhebungsverträge zählen zu dem Schwellenwert für Entlassungen, wenn der Arbeitgeber sie veranlasst hat.


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