Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung – das gilt 2024
Kündigt der Arbeitgeber betriebsbedingt, muss er eine sog. Sozialauswahl treffen. Das Gesetz bestimmt also, wer vorrangig zu entlassen ist. Diese Vorgaben machen viele betriebsbedingte Kündigungen angreifbar. Wir erklären, was Arbeitnehmer und Arbeitgeber wissen müssen.
Sozialauswahl nach einer Kündigung: Was ist das?
Bei einer betriebsbedingten Kündigung entlässt der Arbeitgeber aufgrund wirtschaftlicher Umstände. Die Ursache der Kündigung liegt also beim Arbeitgeber und ist nicht durch den Arbeitnehmer oder sein Verhalten bedingt (z.B. Verkleinerung des Betriebs).
Soll mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern gekündigt werden, darf der Arbeitgeber nicht nach Belieben bestimmen, welcher Mitarbeiter das Unternehmen verlässt. Das Gesetz gibt vielmehr soziale Kriterien vor, die der Arbeitgeber bei seiner Auswahl berücksichtigen muss. Man spricht von der sog. Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG). Dabei geht es nicht um die Frage „ob“, sondern „wem“ gekündigt werden darf.
Wurden bei dieser Sozialauswahl Fehler gemacht, führt dies regelmäßig zur Unwirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung führen. Sie ist dann „sozialwidrig“.
Zweck der Sozialauswahl ist, dass sozial besonders schutzwürdige Mitarbeiter von einer betriebsbedingten Kündigung nach Möglichkeit verschont bleiben. Nicht alle Arbeitnehmer haben auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen.
Häufiger Irrtum: Die Sozialauswahl ist etwas Anderes als ein Sozialplan. Auf einen Sozialplan einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat, um die sozialen Folgen des Stellenabbaus abzufedern. Oft sind Abfindungen vorgesehen.
Wie läuft die Sozialauswahl ab?
Die Sozialauswahl erfolgt in drei Schritten, die unten noch näher erklärt werden. Hier zunächst ein Überblick:
- Schritt – Vergleichsgruppe: Der Arbeitgeber hat festzustellen, welche Arbeitnehmer untereinander vergleichbar sind und muss entsprechende Vergleichsgruppen bilden.
- Schritt – Ausnahmen bilden: Aus diesen Vergleichsgruppen dürfen Arbeitnehmer herausgenommen werden, die wegen Fähigkeiten oder Kenntnissen eine besondere Stellung im Betrieb haben.
- Schritt – Auswahlentscheidung: Die Arbeitnehmer innerhalb der Vergleichsgruppen werden nun mittels gesetzlich vorgegebener Kriterien in einer Rangordnung sortiert, die für die Kündigung maßgeblich ist.
Wann sind einzelne Mitarbeiter vergleichbar?
Der Arbeitgeber hat bei der Sozialauswahl zunächst einen bestimmten vergleichbaren Kreis von Arbeitnehmern zu ermitteln. Vergleichbar und damit austauschbar sind Arbeitnehmer, wenn sie aufgrund ihres Arbeitsvertrages die Aufgaben des anderen Arbeitnehmers ausführen könnten. Man spricht von einer horizontalen Vergleichbarkeit. Einzubeziehen sind dabei nur Arbeitnehmer, die auf derselben Hierarchieebene stehen.
Daneben müssen die jeweiligen Mitarbeiter auch fachlich vergleichbar sein. Die jeweiligen Arbeiten müssen gemäß beruflicher Qualifikation und Berufserfahrung nach einer angemessenen Einarbeitungszeit übernommen werden können (z.B. wenn der Arbeitnehmer sonst als Vertretung im Urlaub oder Krankheitsfall eingesetzt werden würde).
Welche Mitarbeiter dürfen von der Sozialauswahl ausgenommen werden?
Verschiedene Arbeitnehmer sind als Leistungsträger von der Sozialauswahl ausgenommen, wenn der Betrieb ein berechtigtes Interesse an ihrer Weiterbeschäftigung hat (§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG).
Dies kann bei einem Arbeitnehmer wegen
- Kenntnissen, Fähigkeiten, Leistungen oder
- zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im Betrieb
liegen.
Beispiele für Ersteres:
- Sekretärin A spricht als einzige die Fremdsprache ihrer Vorgesetzten. Ihre Kenntnisse sind für den Betrieb daher von besonderem Interesse.
- Facharbeiter B ist künftig als Führungskraft vorgesehen. Auch er darf grundsätzlich in der Sozialauswahl unberücksichtigt bleiben.
- Geringe krankheitsbedingte Fehlzeiten hingegen dürfen in aller Regel nicht dazu führen, dass ein Mitarbeiter als Leistungsträger von der Sozialauswahl ausgenommen und so gegenüber gesundheitlich Beeinträchtigten bevorzugt wird.
Damit die Altersstruktur nach einer großen Anzahl an Kündigungen noch ausgeglichen ist, kann der Arbeitgeber Altersgruppen bilden, in die er die vergleichbaren Arbeitnehmer einsortiert, um dann die Sozialauswahl nur innerhalb dieser Gruppe durchzuführen.
Welche Kriterien bestimmen die Sozialauswahl?
Das Kündigungsschutzgesetz bestimmt vier Kriterien für die Sozialauswahl:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit, d.h. der rechtlich ununterbrochene Bestand des Arbeitsverhältnisses. Belohnt werden soll die Betriebstreue des Arbeitnehmers.
- Lebensalter des Arbeitnehmers, wobei gesundheitliche Faktoren, die mit dem Alter verbunden sind, keine Rolle spielen. Die Anknüpfung an das Lebensalter hat keine diskriminierende Wirkung, wenn ein Bezug zu Vermittlungschancen am Arbeitsmarkt bzw. Versorgungsleistungen besteht. Die Folgen, die mit der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle einhergehen, sind jüngeren Arbeitnehmern eher zumutbar als älteren. Auch die Möglichkeit, dass vor dem 65. Lebensjahr Rente bezogen werden kann, ist ggf. relevant. Arbeitgeber sollten allerdings darauf achten, dass sie ihre Auswahlentscheidung nicht schwerpunktmäßig mit dem Alter begründen. Andernfalls drohen Konflikte mit dem Europarecht. Mehr zum Kündigungsschutz von Arbeitnehmern über 55 Jahren erfahren Sie im verlinkten Beitrag.
- Unterhaltspflichten. Damit soll berücksichtigt werden, dass Kinder und Ehepartner auf das Einkommen des Arbeitnehmers angewiesen sind.
- Schwerbehinderung, die nach § 152 SGB IX festgestellt werden muss.
Einfach ausgedrückt ist der Schutz des Arbeitnehmers umso stärker,
- je länger er im Betrieb ist,
- je höher sein Lebensalter ist (ab ca. 55 Jahren kann das Alter die Schutzbedürftigkeit hingegen senken, weil ggf. die (vorgezogene) Altersrente zumutbar ist),
- je umfangreichere Unterhaltspflichten ihn treffen und
- je stärker er durch eine Schwerbehinderung beeinträchtigt ist.
Für die Abwägung und Beurteilung gibt es kein Rangverhältnis, d.h. jedes Kriterium wiegt gleich viel. Der Arbeitgeber hat einen Beurteilungsspielraum. Er darf die Kriterien nach eigenem Maß gewichten, soweit er sie jeweils „ausreichend“ berücksichtigt.
Beispiel:
So kann eventuell einem älteren Mitarbeiter nach zehn Jahren in der Firma eher gekündigt werden als einem schwerbehinderten Arbeitnehmer, der kürzer beschäftigt ist.
Achtung: Wenn Sie als Arbeitnehmer auf der Namensliste eines Interessenausgleichs stehen, haben Sie geringere Chancen, Fehler bei der Sozialauswahl anzugreifen.
Gibt es für 2024 ein festgelegtes Punktesystem?
Der Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers schließt mit ein, dass er die Kriterien der Sozialauswahl mithilfe eines Punktesystems anwenden darf. Dieses Verfahren ist gängig. Ist ein Kriterium erfüllt, erhält der Mitarbeiter eine bestimmte Punktzahl. Der Arbeitnehmer mit der höchsten Gesamtpunktzahl ist am schutzwürdigsten. Ein solches Punktesystem erleichtert dem Arbeitgeber zwar die Entscheidung, ersetzt jedoch nicht die Gesamtabwägung innerhalb der Sozialauswahl für jeden Einzelfall.
Anders als gelegentlich angenommen, gibt es kein allgemeingültiges Punktesystem. Der Arbeitgeber muss sein eigenes Konzept aufstellen, das dann im Streitfall vom Gericht überprüft wird.
Ist eine betriebsbedingte Kündigung auch ohne Sozialauswahl möglich?
An der Sozialauswahl kommt der Arbeitgeber in aller Regel nicht vorbei. Kündigt er betriebsbedingt, ist die Sozialauswahl Pflicht. Eine Ausnahme gilt hingegen für sog. Kleinbetriebe, die zehn oder weniger Mitarbeiter beschäftigen.
Die Sozialauswahl entfällt natürlich auch bei einer Kündigung wegen Betriebsstilllegung, wenn diese endgültig ist und alle Entlassungen in einem Zug geschehen. Wird der Betrieb hingegen in mehreren Etappen stillgelegt, ist wiederum eine Sozialauswahl durchzuführen.
Fazit
- Kündigt der Arbeitgeber betriebsbedingt, hat er im Rahmen einer Sozialauswahl die sozial am wenigsten schutzwürdigen Arbeitnehmer zu bestimmen. Diese muss er vorrangig kündigen.
- Kriterien der Sozialauswahl sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, Unterhaltspflichten und eine Schwerbehinderung.
- Ob die Sozialauswahl rechtmäßig ist, können gekündigte Arbeitnehmer vor Gericht überprüfen lassen. Ist die Auswahl fehlerhaft, erklärt das Gericht die Kündigung für unwirksam.
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