Kündigungsschutz ab 55 – Abfindung & Altersschutz
Sie sind über 55 Jahre alt, haben jahrelang in einem Betrieb gearbeitet und auf einmal kündigt Sie Ihr Arbeitgeber. Doch ist eine Kündigung unter diesen Voraussetzungen überhaupt möglich? Wir erklären Ihnen den Kündigungsschutz ab 55 Jahren.
Ist man ab 55 Jahren unkündbar?
Leider ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, dass man ab 55 Jahren unkündbar wäre. Eine Kündigung ist also ab 55 nicht per se für jeden Mitarbeiter ausgeschlossen.
Allerdings sehen einige Tarifverträge entsprechende Regelungen vor. Beispielsweise enthalten die Tarifverträge der IG BCE, IG Metall und Verdi Regelungen zum Altersschutz. Dort ist häufig geregelt, dass Mitarbeiter ab 40, 50 oder 55 ordentlich nicht mehr kündbar sind. In einigen Tarifverträgen ist nur die betriebsbedingte Kündigung ausgeschlossen. Verhaltensbedingte oder etwa Kündigungen wegen Krankheit bleiben dann möglich.
In jedem Fall möglich bleibt die außerordentliche Kündigung. Sie kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn dem Arbeitgeber die Zusammenarbeit besonders unzumutbar ist.
Beispiele:
- Der 60-jährige Arbeitnehmer beklaut den Arbeitgeber seit vielen Jahren.
- Der Arbeitgeber kündigt wegen einer Betriebsschließung.
- Der 55-jährige Mitarbeiter wird wegen einer Krankheit dauerhaft arbeitsunfähig sein und nicht mehr für das Unternehmen arbeiten können.
Nochmals sei aber betont: Unkündbar sind Arbeitnehmer ab 55 Jahren nur, wenn der auf sie anwendbare Tarifvertrag dies vorsieht. Das Gesetz sieht einen solchen Altersschutz nicht vor.
Gilt zumindest ein erhöhter Kündigungsschutz ab 55?
Ja, denn bei älteren Arbeitnehmern ist zu beachten, dass diese nach einer Kündigung schwieriger einen neuen Job finden als ihre jüngeren Kollegen. Dies sind die wichtigsten Besonderheiten beim Kündigungsschutz ab 55 Jahren:
Interessenabwägung
Eine Kündigung hängt in aller Regel von hohen Voraussetzungen ab. Unter anderem muss der Arbeitgeber seine Interessen gegen die des Mitarbeiters abwägen. Ob er dabei richtig vorgegangen ist, überprüft später das Gericht im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses.
Das Alter des Arbeitnehmers ist dabei ein wichtiger Faktor. Je älter der Mitarbeiter ist, desto bessere Gründe muss der Arbeitgeber haben, um ihn entlassen zu dürfen. Das gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber eine betriebsbedingte, krankheitsbedingte oder verhaltensbedingte Kündigung ausspricht.
Beispiel:
Tendenziell darf der Arbeitnehmer einem 30-jährigen Arbeitnehmer, der für längere Zeit wegen Krankheit ausfällt, eher kündigen als demselben Arbeitnehmer, wenn dieser 55 Jahre oder älter ist.
Bedeutung hat auch, ob der Arbeitnehmer Kindern oder einem Ehepartner Unterhalt schuldet. Je umfangreicher die Verpflichtungen sind, desto schutzwürdiger ist der Arbeitnehmer. Auch davon profitieren eher ältere Arbeitnehmer.
Sozialauswahl ab 55
Grundsätzlich ist es möglich, dass der Arbeitgeber aus wirtschaftlichen Gründen kündigt. Vor einer betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber allerdings eine Sozialauswahl treffen. Auch davon profitieren ältere Arbeitnehmer eher als jüngere. Unter allen in Betracht kommenden, vergleichbaren Arbeitnehmern wird entschieden, welche Mitarbeiter entlassen werden. Die Sozialauswahl wird anhand folgender Kriterien getroffen:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Unterhaltspflichten
- Lebensalter
- Schwerbehinderung
Je mehr Kriterien der Arbeitnehmer erfüllt, desto schutzwürdiger ist er.
Beispiel:
A und B arbeiten in demselben Betrieb. A ist 56 Jahre alt und seit 25 Jahren im Betrieb angestellt. Er ist verheiratet und hat ein minderjähriges Kind.
B hingegen ist 23 Jahre alt und arbeitet erst seit zwei Jahren im Betrieb. Er ist ledig und kinderlos. Im Vergleich arbeitet A deutlich länger, ist unterhaltspflichtig und hat ein höheres Lebensalter als B. Die Kündigung wäre für A somit deutlich schwerwiegender als für B. Aufgrund dessen müsste der Arbeitgeber zunächst B kündigen.
Ausnahmsweise kann der Arbeitgeber dem älteren Arbeitnehmer dennoch kündigen, wenn der Betrieb z.B. eine ausgewogene Altersstruktur aufweisen soll. Jedoch ist dies eine Ausnahme!
Letztendlich ist die Sozialauswahl ein aufwendiger Prozess für den Arbeitgeber und sehr fehleranfällig. Dies können sich ältere Arbeitnehmer zu Nutze machen: Die betriebsbedingte Kündigung kann vor Gericht meist erfolgreich angegriffen werden. Der Arbeitsplatz bleibt dann erhalten oder der Entlassene erzielt eine attraktive Abfindung.
Kündigungsfristen ab 55
Wie lang die Kündigungsfrist ab 55 Jahren ist, bestimmt in erster Linie der Arbeits- oder Tarifvertrag. Nur wenn dort nichts geregelt ist, gilt die gesetzliche Kündigungsfrist aus § 622 BGB. Nach § 622 Abs. 2 BGB gilt: Je länger der Arbeitnehmer im Betrieb zugehörig ist, desto länger ist auch die Kündigungsfrist. Davon profitieren ältere Arbeitnehmer.
Beispiele:
- A ist 56 Jahre alt und arbeitet seit 22 Jahren im Betrieb. Nach § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB beträgt die Kündigungsfrist sieben Monate.
- B ist 25 Jahre alt und arbeitet erst seit zwei Jahren im Betrieb. Seine Kündigungsfrist hingegen beträgt nach § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB nur einen Monat.
Kündigungsfristen in Arbeits- oder Tarifverträgen sehen meist ähnliche Steigerungen bei zunehmender Betriebszugehörigkeit vor.
Arbeitslosengeld ab 55
Sofern die Kündigung wirksam ist, hat der Gekündigte in aller Regel Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Die Anspruchsdauer richtet sich nach § 147 SGB III (3. Sozialgesetzbuch). Ausschlaggebend sind das Lebensalter und die Dauer der Beschäftigung vor der Kündigung. Während jüngere Arbeitnehmer maximal 12 Monat Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben, haben ältere Arbeitnehmer diesen für bis zu 24 Monate. Insofern werden ältere Arbeitnehmer an dieser Stelle begünstigt.
Beispiele:
- A ist 52 Jahre alt und arbeitet seit vier Jahren im Betrieb. Nach § 147 Abs. 2 SGB III hat er einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I für 15 Monate.
- B ist 59 Jahre alt und arbeitet ebenfalls seit vier Jahren im Betrieb. Er hat einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I für 24 Monate.
Kündigungsschutz ab 55 im öffentlichen Dienst
Im öffentlichen Dienst ist der Kündigungsschutz bereits ab 40 Jahren besonders gut. Nach § 34 Abs. 2 TVöD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst) dürfen Angestellte im öffentlichen Dienst, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens 15 Jahren bei einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber beschäftigt sind, nicht ordentlich gekündigt werden.
Achtung: Eine außerordentliche Kündigung ist trotzdem noch möglich! Dies haben wir im ersten Abschnitt erläutert.
Abfindung ab 55 Jahren erhalten
Eine Abfindung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Dennoch enden die meisten Kündigungen ab 55 mit einer Abfindung.
Diese Wege führen häufig zu einer Abfindung:
Vergleich vor Gericht
Entlassene Arbeitnehmer können gegen die Kündigung klagen. Vor Gericht einigt er und der Arbeitgeber sich unter Umständen und im Gegenzug nimmt er die Klage zurück. Damit akzeptiert der Arbeitnehmer zwar die Kündigung, erhält aber als finanziellen Ausgleich eine Abfindung.
Abwicklungsvertrag
Arbeitnehmer können mit dem Arbeitgeber einen Abwicklungsvertrag vereinbaren. Dieser wird im Anschluss an die Kündigung des Arbeitgebers abgeschlossen. Arbeitnehmer verpflichten sich darin, auf eine Klage zu verzichten und im Gegenzug erhalten sie eine Abfindung.
Aufhebungsvertrag
Mitarbeiter können bereits vor der Kündigung mit Ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag vereinbaren. In diesem regeln sie eine Abfindung. Dadurch vermeiden sie die Kündigung.
Abfindung nach betriebsbedingter Kündigung
Sofern es sich um eine betriebsbedingte Kündigung handelt, kommen ergänzend weitere Möglichkeiten in Betracht:
- Im Sozialplan kann eine Abfindung vorgesehen sein. Arbeitnehmer sollten an dieser Stelle jedoch beachten, dass sich eine individuelle Abfindung meistens mehr lohnt!
- Sofern der Arbeitnehmer nicht klageweise vorgeht, kann ihm ein Anspruch auf eine Abfindung nach § 1a KSchG zustehen. Ein solcher setzt allerdings voraus, dass sich der Arbeitgeber in der Kündigungserklärung zur Zahlung einer Abfindung bereiterklärt hat. Auch an dieser Stelle lohnt sich eine individuelle Verhandlung häufig eher.
Die Höhe der Abfindung lässt sich nicht pauschal bestimmen. Als erste Orientierung dient folgende Faustregel:
0,5 x Monatsgehalt (brutto) x Anzahl der Beschäftigungsjahre
Somit haben ältere Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit auch hier einen Vorteil.
Oft bietet der Arbeitgeber älteren Mitarbeitern einen Aufhebungsvertrag statt der betriebsbedingten Kündigung an. Sie sollten nur unterschreiben, wenn Sie eine attraktive Abfindung zugesichert erhalten!
Beispiel:
A ist 56 Jahre alt, verdient monatlich 6000,00 € und ist seit 20 Jahren im Betrieb tätig. Seine Abfindung beträgt (0,5 x 6000,00 € x 20 =) 60.000,00 €.
B ist 24 Jahre alt, verdient monatlich ebenfalls 6000,00 € und ist erst seit vier Jahren im Betrieb tätig. Seine Abfindung beträgt (0,5 x 6000,00 € x 4 =) 12.000,00 €.
Letztendlich ist dies aber nur eine reine Faustregel! Die Höhe der Abfindung ab 55 Jahren kann davon stark abweichen. Insbesondere bei Verhandlungen vor Gericht sind Sie oft in der besseren Verhandlungsposition: Aufgrund der Fehleranfälligkeit von Kündigungen älterer Arbeitnehmer ist das Prozessrisiko für den Arbeitgeber besonders hoch. Deshalb möchte der Arbeitgeber einen (langwierigen) Prozess möglichst verhindern und ist unter anderem zur Zahlung einer höheren Abfindung bereit.
Tipps für Führungskräfte
Arbeitnehmer über 55 Jahren sind aufgrund ihrer Erfahrung häufig Führungskräfte. Für diese haben wir hier mehr Informationen zusammengestellt:
- Kündigung von Geschäftsführern
- Kündigung von Führungskräften
- Kündigung von Prokuristen
- Abfindung für Prokuristen
Abfindung versteuern ab 55 Jahren
Wer eine Abfindung erhält, muss auch Steuern dafür zahlen. Jedoch gibt es auch für Arbeitnehmer ab 55 Jahren die Möglichkeit, die Steuer zu verringern und gleichzeitig seine Rente aufzubessern: Wenn Sie die gesamte Abfindung oder auch nur Teile auf Ihr Konto in der gesetzlichen Rentenversicherung zahlen lassen (§ 187a SGB VI), sind nur noch 50% der Abfindung steuerpflichtig. Der andere Teil sollte dann nach der Fünftelregelung gem. §§ 24 Nr.1, 34 EStG versteuert werden. Damit wird ein hoher Steuersatz durch die neben dem Gehalt zusätzlich gezahlte Abfindung verhindert.
Fazit
- Arbeitnehmer ab 55 Jahren sind gesetzlich nicht unkündbar. Allerdings sehen manche Tarifverträge Regelungen vor, wonach die ordentliche Kündigung ab 55 Jahren ausgeschlossen ist.
- Auch ohne entsprechenden Tarifvertrag ist dem Arbeitgeber die Kündigung von Arbeitnehmern ab 55 Jahren zumindest erschwert. Dies äußert sich etwa bei der Kündigungsfrist, der Sozialauswahl und der Abfindung.
- Eine ordentliche Kündigung im öffentlichen Dienst ist nach § 34 Abs. 2 TVöD unter Umständen bereits ab 40 Jahren ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung bleibt dennoch bestehen!
- Eine Abfindung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Dennoch können Sie eine Abfindung in der Regel per Verhandlung erreichen.
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